Umbra et Malleus Log 21
#1
*** Im Shuttle ***
 
Frank Hammerton stieß einen gotteslästerlichen Fluch aus, während er durch das Cockpitfenster des Shuttles auf das starrte, was sich ihm darbot. Es war kein besonders spektakulärer Anblick. Eher ein… besonders langweiliger: ein dicht gepackter Asteroidengürtel beträchtlichen Ausmaßes, dessen einzelne Bestandteile träge ein unkenntliches Massezentrum umkreisten.

„Der Velconnia-Belt“, bemerkte Richard ohne größere Erregung. „Was haben Sie geglaubt, vorzufinden?“

„Sagen wir… etwas weniger Hinderliches. Wie stellen Sie sich vor, da durchzukommen, wo wir nicht einmal genau unser anvisiertes Ziel kennen?“

Richard zog seinen Siegelring vom Finger. „Geben Sie mir Ihren Dolch.“

Hammerton warf dem Inquisitor einen skeptischen Blick zu. „Wenn Sie auf Harakiri aus sind, da weiß ich schnellere Wege…“

„Ersparen Sie mir Ihren düsteren Humor. Geben Sie mir die Waffe. In dem Ring ist etwas gespeichert, was ich für ein Navigationssystem halte. Und ich kann ihn nur mit meinem genetischen Profil aktivieren.“

Kurz blitzte die Klinge im bläulichen Cockpitlicht auf. Hammerton beobachtete fasziniert, wie das Blut auf das eingravierte Signet der Inquisition tropfte, und sich aus diesem ein Hologramm entfaltete, das entfernt an ein vulkanisches Cal-To in seiner komplexesten Form erinnerte. Richard schob den Ring auf das Holo-Interface der Navigationskontrolle. Im selben Moment huschten Zahlenkolonnen über die Matrix des Shuttles. Die Hologramme verschmolzen ineinander und offenbarten schließlich eine aus hunderten Koordinationsangaben bestehende Trajektion.

„Bei allen Mächten der Finsternis…!“

Richard lächelte. „In der Tat… ein Wegweiser.“ All die letzten Monate hatte er geglaubt und geahnt – und jetzt sah er mit eigenen Augen. Er war hier, hier wie es Valentinian Constantius offenbar gewollt hatte! Er war hier, um sein Vermächtnis zu erfüllen – was auch immer das sein mochte…

„Solange er uns nicht in die Hölle führt?!“

„Das liegt ganz im Sinne des Betrachters, Colonel.“ Richard faltete ein Taschentuch um den Schnitt in seinem Finger. „Jetzt stellen Sie den Autopiloten ein.“

Hammerton schnaufte, nahm aber die notwendigen Einstellungen vor, und das Shuttle setzte sich langsam in Bewegung, beängstigend auf einen der größeren Gesteinsbrocken zu. „Wissen Sie, vor ein paar Stunden hatte ich den kurzen Eindruck, dass sich unter Ihrer Amtstracht ein normales menschliches Wesen befindet, mit normalen menschlichen Schwächen und Bedürfnissen.“
Das Shuttle steuerte haarscharf an der Außenkante eines Kraters vorbei und machte sofort eine scharfe Kurskorrektur, die es ebenso knapp über ein erdnussförmiges Objekt brachte.

„Wir stehen alle in einem ständigen Kampf mit den niederen Instinkten unserer Leiblichkeit,“ antwortete Richard. „Das heißt nicht, dass wir immer siegreich sind. Aber wir sollten es anstreben.“

Die Warnleuchte für strukturelle Integrität leuchtete kurz während des nächsten Manövers auf, ging dann jedoch wieder auf Normalstatus. „Und wenn wir das Erstrebte erreichen, was dann – dann sind wir wie die Borg. Maschinen. Oder – wie Gott. Unfehlbar. Ist das nicht eine Blasphemie?“

Richard musterte den altgedienten Elitesoldaten auf dem Nachbarsessel. Die erzwungene Untätigkeit schien ihn zu allerlei philosophischen Betrachtungen anzuregen. Er selbst hatte nicht unbedingt das Bedürfnis nach Konversation. Zumal er sicher war, dass Hammerton die Tiefen der Theologie keinesfalls ergründen konnte. „Blasphemie, mein Lieber,“ antwortete er, „ist zu GLAUBEN, dass Sie die Unfehlbarkeit erreichen werden oder erreicht haben. Nicht das Streben nach ihr.“

„Mein Vater hat mir beigebracht, immer mit beiden Füßen auf dem Boden zu bleiben, eine Hand immer an der Waffe zu haben, und wenn möglich, alles um mich herum im Blick.“

„Er war ein weiser Mann, wie mir scheint. – Mein Vater hat mir … zu verstehen gegeben, dass ich ein wertloses Nichts bin, als ich ihn zuletzt sah vor 20 Jahren. – Wir haben den Asteroidengürtel bald hinter uns.“

Tatsächlich zeichnete sich im Navigationsholo eine Änderung ab. Zu sehen war allerdings noch immer nur eine bedrohliche Masse an großen und kleinen Brocken rings um das zerbrechlich wirkende Shuttle. Letztlich dauerte es immerhin noch weitere 35 nervenzehrende Minuten, ehe das Shuttle in den freien Raum vorstieß.

Und jetzt – jetzt bot sich seinen Insassen auch ein atemberaubender Anblick. Wolken und Fontänen rötlich und grün leuchtenden Gases umgaben ein Gebilde, das strahlend hell wie eine Speerspitze in den Raum ragte. Das Navigationsholo zeigte ein Planetensystem in der Nähe an, doch zu sehen war hinter den  tanzende Schleiern aus Energie nichts.
[Bild: Signatur-Rabenstein-neu.jpg]
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