Griff in die Geschichte Log 10 Mort Caldred
#1
*** Im Hotel ***
 
Dr. Val'Kara war zu ihnen hinunter gebeamt und hielt - wie ihrem Naturell entsprechend - den beiden Rihannsu zuerst eine Vorlesung über unverantwortliches und unangemessenes Verhalten, ehe sie ihrer Tasche Medikamentenkapseln und Hypospray entnahm. "Habe ich nicht immer wieder vor Außeneinsätzen gepredigt, dass alle, ausnahmslos ALLE fremden Speisen vorher auf Kompatibilität zu prüfen sind? Aber nein, in ein Ohr rein, aus dem anderen raus, nicht wahr? Das Abenteuer lockt und --"
 
"Nun machen Sie mal halblang," brummte Nalae. "Es war eben einfach die Verlockung des Augenblicks."
 
"Ja, die Verlockung des Augenblicks, die hat Eva auch in den Apfel beißen lassen!" kommentierte Vandenberg aus dem Hintergrund, erntete aber aufgrund der Unkenntnis terranischer Religionsmythologie bei den übrigen Anwesenden nur verständnislos Blicke.
 
Mort saß gegenüber im Sessel, ließ den Blick über die seiner Meinung nach gruslige Tapete schweifen und dachte über sein eigenes Problem nach, das den Namen Olaf Dierckson trug. Mit dem Gesicht eines berühmten Rennfahrers herum zu laufen, zu dem der Name im gefälschten Pass nicht passte war nicht gerade der Weg, unauffällig seine Mission zu erfüllen. Da musste etwas getan werden, und zwar schnell. Daher hatte er vor einer knappen Stunde an das Zimmer D'Varos und Tr'Kovaths geklopft, um den CEO um eine Umprogrammierung des Holofilters zu bitten. Gefunden hatte er zwei Häufchen Elend, die sich am terranischen Essen der Vergangenheit vergiftet hatten. Nun, er war schon immer der Meinung gewesen, dass die humanoiden Spezies diesbezüglich überempfindlich waren...
 
Tr'Kovath sah schon etwas weniger blass um die Nase aus. Vielleicht konnte er sich ja bald an die Arbeit machen. Mort zog aus Langerweile den Tricorder und prüfte nach Gerschoni. Nichts! Der Kerl musste sich irgendwo aufhalten, wo der Scanner nicht durchdringen konnte...
Plötzlicher Lärm vor den Fenstern rissen den Sicherheitschef aus seinen Überlegungen. Da schrie jemand um Hilfe!
Er sprang auf. Auch Vandenberg war schon am Fenster, und gemeinsam lugten sie durch die Gardine. Unten gab es ein Handgemenge zwischen drei Leuten. Ein Messer blitzte im Licht der Straßenlaterne. Das Opfer wurde gegen die Wand gestoßen, einer der Männer angelte in dessen Jackentaschen.
 
"Raubüberfall," zischte Mort und presste die Zähne aufeinander, dass es knirschte. Hier einfach zusehen zu müssen war nicht so seine Art. Andererseits durften sie sich in den Ablauf der Zeitlinie nicht einmischen und --
Der Angegriffene sackte zu Boden und hinterließ eine Blutspur an der Mauer.
 
"Was für eine barbarische Zeit!" entrüstete sich Val'Kara, die unbemerkt neben Vandenberg und Mort getreten war.
 
"Hatten Sie da irgendwelche Zweifel?" Der XO wandte sich ab.
 
"Ich muss da runter und dem armen Kerl helfen! Ich kann doch nicht einfach tatenlos zusehen, wie er da verblutet! Das verbietet mein Eid!" Val'Kara war schon an der Tür.
 
"Doc, ich befehle Ihnen--"
 
"Auf medizinischem Gebiet bin ich ranghöher und Sie können mir gar nichts befehlen!"
 
Mort wollte sich ihr in den Weg stellen, aber die Ärztin war draußen und mit zwei Schritten auf der Hintertreppe. Zwei leicht angetrunkene Hotelgäste versperrten dem Sicherheitschef den Weg. Da zur Seite stoßen und hinter ihr hersprinten keine gute Option war, grinste er die anderen Gäste gequält an und murmelte nur: "Kleine Meinungsverschiedenheit mit meiner Frau."
 
 
*** Etwas später ***
 
Dr. Val'Kara richtete sich mit einem Seufzer auf und schüttelte den Kopf. "Ich konnte nichts mehr für ihn tun, mit meinen beschränkten Mitteln hier. Auf der Picard, ja, aber hier..."
 
Vandenberg musterte den toten Mann vor ihr, die Blutflecke im Bett und auf dem Boden. "Sie hätten sich überhaupt nicht einmischen sollen. Jetzt haben wir einen Toten im Hotelzimmer und sehr wahrscheinlich gleich Polizei auf dem Hals."
 
"Reden Sie noch mal über unverantwortliches Handeln!" fauchte Nalae giftig von ihrem Sofa in Richtung Val'Karas. "Pah!"
 
"Nun." Bei Val'Kara obsiegte ihr logisches vulkanisches Erbe. "Gestorben wäre der Mann so oder so, ob unten oder hier oben. Also die Zeitlinie wurde nicht weiter beeinflusst. Spuren wie Fingerabdrücke und Blut kann ich problemlos entfernen - auch den Toten selbst, mit einem genügend großen Phaserenergiestoß. Ihre Besorgnis ist unbegründet, Mr. Vandenberg."
 
Mort betrachtete das Gesicht des Überfallopfers. Nichts Spektakuläres, wie es schien. Sicher kein berühmter Rennfahrer oder Schauspieler.... "Was wäre, wenn ich mir sein Konterfei ausborge?" wandte er sich an Tr'Kovath. "Ist das machbar?"
 
Der Romulaner nickte und Nalae nuschelte etwas von "Null Pietät."
 
"Aber prüfen Sie vorher, ob das nicht doch irgendeine Berühmtheit inkognito war!"
 
Tr'Kovath stand mit noch etwas weichen Knien auf, zückte seinen Tricorder für einen Gesichtsscan und anschließende Überprüfung der Datenbank. "Aber ich sage Ihnen gleich, aus dieser Zeit gibt es nur sehr lückenhafte Quellen. Deshalb hat mein Holoprogrammierer wohl auch diesen Rennfahrer -- Oh. Oh-ha." Der Rihanha sah auf. "Ich schätze, dass Sie Ihre Wahl noch mal überdenken sollten, Mr. Caldred."
 
"Wieso, wer ist es diesmal?"
 
Tr'Kovath hielt ihm den Holoauszug einer zeitgenössischen Tageszeitung unter die Nase. "Johann Mooseder. SA-Mann. Sollte eigentlich morgen beim Marsch auf die Feldherrnhalle sterben."
 
Mort las die Übersetzung des Artikels, der die morgigen Ereignisse beschrieb. Aufruhr in München. Der Marsch der bewaffneten Nationalsozialisten und ihrer Gefolgsleute durch die Stadt, das Eingreifen der berittenen Staatspolizei. Schusswechsel. Ergebnis: 16 tote Putschisten - darunter Mooseder, und einige tote Polizisten. Hitler selbst verschwunden.
 
Tr'Kovath sichtete die dem alten Zeitungsartikel beigegebenen historischen Erklärungen aus der Datenbank. "Zuerst wurde Hitlers Leibwächter getroffen, fünf Kugeln," fuhr er fort. "Als er fiel, warf sich Mooseder ins Schussfeld, was Hitler das Leben rettete."
 
"Und jetzt wird er sich nicht mehr ins Schussfeld werfen können - Hitler stirbt und wir haben eine enorme Zeitliniendivergenz, ganz ohne Gerschoni!" Vandenberg schnaufte und schritt durchs Zimmer.
 
"Oder Gerschoni war der Mann mit dem Messer."
 
"Egal." Mort straffte sich zu seiner vollen Größe. "Wir sind hier, um die Zeitlinie verlaufen zu lassen, wie sie verlaufen ist, korrekt? Also werde ich Mooseders Gesicht tragen morgen."
 
"Das ist vollkommen irre!" ließ Nalae verlauten.
 
"Das ist die logischste Lösung."
 
"Da muss ich ihm Recht geben," pflichtete Val'Kara Mort bei.
 
"Ich bin Karyaner, ich bin jedem dieser Humanoiden körperlich überlegen, ich werde mein portables Schutzfeld tragen - mir kann nicht wirklich etwas passieren."
 
Einen Moment lang herrschte Schweigen.
"Es ist ... irgendwie abscheulich, wenn ich mir vorstelle, dass Sie eine solche Person retten sollen..." murmelte Nalae. "Nach allem, was ich die letzten Stunden von diesem Demagogen gesehen und gelesen habe..."
 
"Ich rette keine Person, sondern die Geschichte. Und unsere Zukunft, Doc."
 
 
*** Nächster Tag / 9. November ***
 
Überall in der Stadt standen Gruppen diskutierender Menschen, wurden Reden geschwungen. Neugierige säumten die Straßen. In den geöffneten Fenstern drängten sich Leute. Sie alle warteten auf das, was zahlreiche letzte Nacht geklebte Plakate verkündeten: den Sturz der bayerischen Regierung und einen Marsch nach Berlin, um auch dort die ungeliebten Machthaber zu entfernen. Die einen Redner prophezeiten den Untergang, die anderen sahen die glorreiche Rettung am Horizont aufziehen. Gegen Mittag hatte sich ein etwa 3000 Leute umfassendes 'Bataillon' von Nationalsozialisten in Bewegung gesetzt, Hitler und sein engster Kern an Getreuen vorneweg, die Hakenkreuzflagge über ihren Köpfen.
Die Mitglieder des Aussenteams hatten sich an strategischen Punkten rings um den Odeonsplatz eingefunden - mit Ausnahme Morts, der mit unterwegs war. Laut einer kurzen Meldung schlossen sich immer mehr Münchner dem Zug an und die Stimmung wurde immer aufgeheizter.
 
Vandenberg und Val'Kara standen in der Nähe einer Litfassäule, Tr'Kovath, der seit seiner Tal'Shiar-Ausbildung über eine Scharfschützenlizenz verfügte, hatte sich auf einem Hausdach eingenistet. Howy stand am Schaufenster eines Zigarrenladens. Alle scannten nach Gerschoni und waren vorbereitet, ihn außer Gefecht zu setzen.
 
"Werter Herr? Werte Dame? Hätten Sie vielleicht eine Mark übrig?" Ein dürrer, zerlumpter Mann stand vor Val'Kara und Vandenberg. "Für mich und meine Kinder? Ich bin schon so lange ohne Arbeit... nicht, dass ich nicht will, aber es gibt eben nichts..."
 
Vandenberg drückte dem Bettler einige Scheine in die Hand. "Wenn ich Sie wäre, würde ich schleunigst nach Hause verschwinden. Es sieht nach Regen aus."


[Bild: mort.jpg]
Zitieren


Gehe zu: