Griff in die Geschichte Log 5 Mort Caldred
#1
*** In einem Münchner Vorort ***
 
Das Aussenteam hatte sein temporäres Quartier gefunden: ein Ort, der auf den Scans der Sonde keine Frequentierung anderer Menschen verzeichnet hatte, der sich überhaupt in einem Areal befand, in dem wenig Aktivität herrschte. Der ausgewählte Platz stellte sich als ein Abbruchhaus aus der Gründerzeit heraus, das demnächst - aber das wussten die Teammitglieder nicht - einer Erweiterung der Agfa-Werke weichen sollte. Jetzt, an einem Wochenende, herrschte auf der Baustelle trügerische Ruhe, nur die interessanten antiken Maschinen konnten bewundert werden. Durch die teilweise zerbrochenen Fensterscheiben im ersten Stock zogen nicht nur die rußigen Abgase fossiler Brennstoffe, die bei Dr. D'Varo schon zu Niesen und Hustenreiz führten, sondern auch noch einige chemische Komponenten, die sich über der Filmherstellungsfabrik lagerten.
 
"Wunderbar," sagte die Ärztin und lüpfte ihren langen weißen Rock etwas, um durch herab gefallene Tapetenreste, Putz und Staub zum Fenster zu treten. "Sieht aus, als wäre ich etwas overdressed für das Hotel!"
 
"Nun, wenigstens wird uns hier sobald niemand stören," antwortete Mort und stapelte zwei ihrer Ausrüstungskisten in einer Ecke. Aus einer entnahm er eine Scaneinheit, die Tr'Kovath mit einem mobilen Stromemitter verband. Howy untersuchte mit geradezu kindlicher Freude einen antiken Stromschalter an der Wand, der bei jeder Drehung ein enorm lautes Klacken von sich gab.
 
"Jungs auf dem Campingtrip..."
 
In der Tat platzierte Vandenberg unterdessen Nano-Einheiten, aus denen sich Zelte auffalten würden. So war wenigstens die durch Ritzen und Fenster fauchende Novemberluft kein Problem. Nalae raffte ihren Rock in eine praktischere Höhe und ging ihren Begleitern zur Hand.
 
"Was wird das überhaupt?" Sie deutete auf die Apparatur, an der sich Mahan und Mort zu schaffen machen.
 
"Gerschoni hat einen Phaser mitgenommen," antwortete der Sicherheitschef. "Zumindest fehlte einer im Inventar, Klasse II-b. Ich nehme an, dass er den benutzen will. Mit einer antiken Schusswaffe kann er nicht umgehen; Phaser ist Standard-Sicherheitstraining. Und die eingebaute Zielfokussierung auf große Distanz wird ihm helfen, sein Ziel zu erreichen. Und jeder Phaser hat eine typische Energiesignatur."
 
"Aber zu gering, als dass wir sie mit dem Tricorder allein anpeilen können. Also brauchen wir eine Verstärkereinheit."
 
"Hier haben wir außerdem einen kleinen Replikator, falls wir neue Kleidung brauchen und dem einheimischen Essen nicht trauen wollen..."
 
"Also ich probiere immer alles, wenn ich irgendwo in der Fremde bin, gehört doch dazu," ließ Howy sich vernehmen und Vandenberg erwiderte, ganz im Lehrertonfall seiner Tarnidentität: "Aber seien Sie immer vorsichtig und essen Sie kein rohes Obst, junger Mann!"
 
"Genau." Nalae nickte. "Hier wird bestimmt noch mit tierischen Fäkalien gedüngt."
 
....
 
Wenig später war das Außenteam unterwegs, um einen Transportknotenpunkt zu erreichen. Die Straßen wurden breiter und belebter, also war alles recht viel versprechend, einen solchen bald zu finden. Doch die Verkehrszeichen konnten die Besucher aus der 500 Jahre entfernten Zukunft nicht deuten und auch mit dem hiesigen Dialekt hatte der Translator zum Teil erhebliche Probleme.
 
Dr. D'Varo blieb stehen. "Diese Stiefel sind der reine Horror. Meine Füße bestehen glaube ich schon nur noch aus Blasen!"
 
"Ich kann auch nicht grade sagen, dass die Mode sehr bequem wäre," Mahan zerrte an seiner Krawatte. "Wir hätten alle Holofilter nehmen sollen."
 
"Ach, das nimmt einem doch den ganzen Spaß!" Howy war vor einem Schaufenster stehen geblieben, in dem Plattenkameras und eine nagelneue Leica verführerisch drapiert waren. "Seht euch das mal an! Das Teil hab ich im Smithsonian gesehen! An der Sammlerbörse zahlen sie astronomische Preise dafür und hier kostet es sicher bloss... äh, naja, auch ganz schön astronomisch, die Zahl."
 
"Inflation," sagte Vandenberg, und auch Howy erinnerte sich jetzt an den entsprechenden Vermerk in ihrem Briefing.
 
Mort starrte missmutig auf seinen getarnten Tricorder. Auch mit Verstärker war noch kein Signal ihres flüchtigen Crewmitgliedes aufzufangen. Für ihn war es hier eindeutig zu feucht und kalt und seine empfindlichen Riechschleimhäute litten genauso wie die der Ärztin. Eine fahrende Fortbewegung - das wäre wesentlich besser!Aber bisher hatten sie nur ein paar enorm stinkende, ratternde Vierradfahrzeuge entdeckt und Fuhrwerke, die von wenig Vertrauen erweckenden Tieren namens Pferde gezogen wurden. D'Varo war ganz angetan von den braunäugigen, langwimprigen Kreaturen, Mort eher nicht.
 
"Entschuldigen Sie, Madame," Vandenberg war einer beleibten älteren Frau im Sonntagsstaat entgegen getreten, "Können Sie uns vielleicht sagen, wo die nächste Trans... Straßenbahnhaltestelle ist?"
 
Die Matrone blickte ihn einen Moment baff an, fragte dann: "Grüß Gott! - De Tram moanens?"
 
Vandenberg und der Rest des Teams warteten hilflos auf den schweigenden Translator. Die Bajuwarin brummelte etwas und versuchte es dann erneut: "De Elektrische? Ja? Da missen's nur noch ums Eck da, bei die Metzgerei."
 
"Danke, sehr freundlich."
 
Noch ehe man sich in Richtung der Haltestelle in Bewegung setzen konnte, stürzte plötzlich ein drahtiger junger Mann auf die Gruppe zu, der mit einem mittelgroßen Köfferchen bepackt war. "Ah, Freunde der Fotografie!" rief er, über das ganze Gesicht strahlend. "Glauben Sie an den Zufall? Ich nicht! Das Schicksal hat unsere Wege kreuzen lassen, glauben Sie mir! - Sie, Herr Professor," Er griff Vandenberg am Ärmel. "Sie sind doch ein Professor, für sowas hat Franz Weller doch ein Auge, einen Kennerblick, sozusagen!"
 
Mort fragte sich, was das sollte und bereitete sich innerlich auf eine Reihe von Situationen vor, die eine gewalttätige Auseinandersetzung und schnelles Entkommen beinhalteten. Natürlich hatte jeder von ihnen einen Notfalltransporter, aber den wollten sie nicht gerade vor der Menge Leute einsetzen, die hier unterwegs war.
 
Franz Weller indes hatte sein Köfferchen abgestellt und entnahm ihm keine Waffe sondern mehrere Hefte aus Papier und kleine Döschen. Will er uns irgendwas verkaufen? Kosmetik vielleicht, Medizin? Die Dosen sahen einigen Behältnissen in der Krankenstation der Picard ähnlich. Mist, der will uns nicht etwa Drogen--
 
"...aber Fotofreunde, was sage ich, Fotografen wie Sie, meine Herren, werden den Vorzug dieser Erfindung sofort erkennen!" Nalae bedachte er mit keinem Blick, Frauen verstanden ohnehin nichts von der Technik. "Und Sie mein Herr Professor, haben Sie nicht auch schon einmal gewünscht, ihren lieben Schülern die Errungenschaft des Lichtbildes in aller Pracht zeigen zu können, aber ach - es mangelte wie so oft am Gelde? Doch damit ist jetzt Schluss! Dank dieser neuen Erfindung aus Frankreich!" Mit geübter Hand öffnete Franz Weller eine der Döschen und entrollte ein kleines Kunststoffband. Dabei schmetterte er, als habe er das Ei des Kolumbus selbst entdeckt: "Ein Stehfilmband! Nie mehr kiloweise Glasdiapositive schleppen, nie mehr Unordnung bei der Vorführung! 50 Bilder passen auf ein Filmband! Klein, leicht und billig ist das Stehfilmband von Weller!"
 
Vandenberg versuchte sich höflich zu entwinden. "Danke, aber wir haben leider ein dringende Ver--"
 
"Oh, kein Problem," rief der umtriebige Vertreter der neuesten Medientechnologie. "Hier, nehmen sie einen Prospekt meiner Firma, oder auch gleich zwei!" Er drückte Vandenberg und Howy je ein Heftchen in die Hand. "Ihre Schüler werden begeistert sein, Herr Professor! Hier, nehmen Sie doch ein Probeexemplar mit und denken Sie dran: Filmstehbilder von Weller sind die Besten auf dem Markt und die billigsten! Da steht auch unsere Fernsprechnummer! Auch einen entsprechenden Projektor können Sie bei uns preiswert erstehen oder ihn auch leihen. Bestellen Sie bald, die Preise werden steigen!" Franz Weller verschwand in dem Fotoatelier.
 
"Puh..." machte Dr. D'Varo. "Der muss beim Großen Nagus in die Lehre gegangen sein..."
 
"Nee,"  grinste Howy, " von dem könnte der Große Nagus noch was lernen!"
 
Vandenberg stopfte das Filmband in seine Jackentasche und man machte sich gemeinsam auf zur Trambahn, wo schon einige Menschen warteten, alle im Sonntagsstaat, denn man war auf dem Weg von oder zur Kirche. Endlich kam das Gefährt mit lautem Klingeln um die Kurve und hielt. Einer nach dem anderen stieg ein, während der Schaffner die Runde machte. "Fahrkartn? Wer braucht noch a Fahrkartn?"
 
Die Mitglieder des Außenteams beobachteten den Uniformierten voller Interesse, bis er sich vor ihnen aufbaute und nach ihren Tickets fragte.
 
Mort beschlich das ungute Gefühl, dass sie etwas Wesentliches übersehen hatten. Durften nur Einheimische die Bahn benutzen? Brauchten Sie ihre Ausweise? Ja, das musste es sein! Er griff in die Tasche seines Jackets und holte den Reisepass hervor.
 
Der Schaffner zog die Brauen zusammen, aber dann erzitterte sein Schnauzbart unter einem heftigen Lachen. "Norwegen? Haha, jo mei! Aba Fahrkartn missen's doch kenna do im Nordn? Also, koa Fahrkartn.... Alle z'samm?"
 
Mort nickte. "Ja, wir wollen in die Innenstadt. Zum Rathaus." Der Schaffner nannte eine Summe, und Mort begriff, dass man hier TICKETS für GELD kaufen musste, ehe man das Verkehrsmittel nutzen durfte. Nun ja, dafür war Vorsorge getroffen worden! Er griff in die andere Tasche und holte ein kleines Bündel Scheine heraus, von dem er nun sorgsam die obersten beiden Banknoten herunter nahm und dem Schaffner reichte.
 
Diesem rutschte das Lachen aus dem Gesicht. Er grummelte, ob man ihn veräppeln wolle oder ob heut das Irrenhaus Ausgang habe. Das Geld wollte er nicht nehmen, statt dessen expedierte er das Außenteam aus dem Wagen. Und dann fuhr die Bahn ohne sie ab.
 
"Es muss an den Scheinen gelegen haben," murmelte Mort und betrachtete das Papier ungläubig.
 
"Vielleicht zu groß? Ich habe mal was von Wechselgeld gehört, in einem alten terranischen Film, das man immer haben musste," sagte Nalae.
 
(PS: ich dachte mir, sie haben Geld von 1900, was halt nicht mehr gültig ist Zwinker)

[Bild: mort.jpg]
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