Griff in die Geschichte - Log 2 Hohardus Edzardus
#1
==========  Kurz zuvor  ==========

Sokar versuchte es mit allen Mitteln, Jake von seinem Vorhaben abzuhalten.
Er antwortete nicht einmal.

Das Sicherheitsteam hatte ebenfalls versucht, auf den Hangar zu kommen und die Startsequenzen zu unterbrechen, aber auch das hatte er geschickt verhindert, und als sie dann endlich dabei waren, zum Shuttle vorzudringen, war der Hangar schon vakuumisiert, und Anzüge anzulegen, hatten sie keine Zeit mehr.

Das Shuttle, und mit ihm Jake, war fort.

Und auch die Aktivierung eines Traktorstrahls kam zu spät.


==========  Brücke der USS Picard ==========
 
„Zuhause und doch so fern!“ Howy grunzte, und die anderen auf der Brücke nickten.
„Jetzt brauchen wir nur noch die Zeit manipulieren, und wir sind wirklich da.
Allerdings würde ich mir gerne mal Ost-Friesland ansehen, wie es 500 Jahre vor meiner Zeit dort aussieht, aber das wird wohl nichts werden. Leider.“
 
Er hatte inzwischen die Picard in eine Position auf der Rückseite des Mondes gebracht, wo sie in einem synchronen Orbit lag.
Da war sie sicher vor einer, wenn auch sehr geringen Möglichkeit, von irdischen Astronomen dieser Zeit entdeckt zu werden.
Es war das Mount Wilson Teleskop in Kalifornien, das damals den Titel ‚größtes Teleskop‘ für sich in Anspruch nehmen konnte.
https://en.wikipedia.org/wiki/Mount_Wilson_Observatory
 
Howy erinnerte sich an die Fakten um dieses damals riesige Teleskop mit 100 Inches oder 2,5 m! Schon 100 Jahre später lagen terrestrische Teleskope bei irgendwo 25 – 30 Metern! Dazu freifliegende Geräte im Weltraum.
Dieses Teleskop war es, mit dem Edwin Hubble nachwies, daß der Andromeda Nebel eine eigene Galaxie außerhalb der Milchstraße war.
Howy, den diese alten Geräte schon immer fasziniert hatten, hatte sich die meisten dieser historischen Geräte selber angesehen, und man hatte es ihm sogar mal erlaubt, eine ganze Nacht das später größte Teleskop auf dem Palomar mit 5 Metern alleine zu nutzen.
Was für ein Erlebnis!
 
Selbst mit diesen Geräten war eine Entdeckung der Picard auch auf der Vorderseite des Mondes nahezu unmöglich, aber Sokar wollte kein Risiko eingehen.
Sie hatten eines der Shuttles auf einer Bahn vor der Vorderseite des Mondes positioniert und dazu noch zwei kleine Satelliten, die die Kommunikation mit der Picard aufrecht erhielten.
Dazu hatten sie auch noch einen geostationären in 30.000 km Höhe über der Erde positioniert, der viel zu klein war, um entdeckt zu werden.
Er sollte für eine lückenlose Kommunikation zwischen einem möglichen Außenteam und der Picard sorgen.
Da es zu dieser Zeit schon die ersten Ansätze von Radioübertragungen und Funk gab, nutzten sie nur Hyperfrequenzen, von deren Existenz damals noch niemand etwas ahnte.
Man wollte ja nicht ganz aus Versehen abgehört werden.
 
Eigentlich war alles ziemlich perfekt, wenn man vom Problem Jake Gerschoni absah.
Was war in diesen Kerl gefahren?
Warum hatte er ein Shuttle gestohlen und war ganz offensichtlich in Richtung Erde geflogen, und zwar genau ins Herz Europas. Nach Deutschland.
Was wollte er dort?
 
Bei einer Durchsuchung seines Quartiers hatte man ein Schreiben von ihm gefunden, das Licht auf seine Beweggründe warf, aber auch die Probleme und Sorgen verzigfachte, mit denen sie derzeit konfrontiert waren.
Und es muß ein sehr plötzlicher Entschluß gewesen sein, den er keinem seiner wenigen Freunde mitgeteilt hatte.
 
„Liebe Crewmitglieder.
Liebe  Freunde.
 
Es tut mir leid, wenn ihr jetzt wegen mir Probleme habt, aber ich konnte nicht anders handeln, denn mein Gewissen zwingt mich, die Gelegenheit zu nutzen, um vielen Millionen Menschen in Europa und der Welt das Leben zu retten.
Wir alle wissen, daß gerade in den Jahren, in denen wir hier gestrandet sind, ein Mann namens Adolf Hitler versuchen wird, an die Macht zu kommen, was ihm letztlich auch gelingt.
Und die Resultate dieser Machtergreifung kennen wir auch: Es wird den 2. Weltkrieg geben, der rund um den Globus viele Menschen ins Elend stürzen und das Leben kosten wird.
Und es wird die systematische Vernichtung der Juden, der Sinthi und Roma, Schwulen,  Kommunisten und anderer Widerständler geben.
Ich habe es mir gut überlegt und weiß, was meine Tat, sollte sie erfolgreich sein, mit uns und der Erde machen würde.
Ich weiß nicht, wie sich der Lauf der Dinge verändern würde. Vielleicht gäbe es die Föderation nicht oder überhaupt keine interstellare Raumfahrt.
Möglicherweise würde ich gar nicht existieren, auch wenn das ein Widerspruch in sich wäre, da ich ja sonst nicht diesen Plan ausführen könnte.
 
Ich bin aber zu dem Schluß gekommen, daß die Menschheit im Großen nur davon profitieren würde, wenn Hitler gar nicht erst an die Macht käme und der 2. Weltkrieg nie stattgefunden haben würde.
 
Deshalb habe ich mich entschlossen, die Regeln auf diesem Schiff zu brechen und eines der Shuttle zu stehlen, denn ohne dieses könnte ich nicht nach Deutschland kommen.
Bitte versucht nicht, mich an meinem Plan zu hindern.
Ich werde alles daran setzen, es euch schwer zu machen, mich zu finden, denn ich bin mir sicher, zum Wohle der Menschheit zu handeln.
 
Ich wünsche euch allen eine gute Rückkehr zur Erde in die Zeit, aus der wir kamen.
Es wird sicherlich Manches nicht so sein, wie ihr oder wir es kannten, aber trotzdem werdet ihr wieder zuhause sein. Möglicherweise in einem besseren, da auch die Nachfolgekriege wahrscheinlich nie stattgefunden hätten.
 
Da ich sicherlich nicht zurückkommen werde, grüßt meine Familie, sofern es diese noch gibt und erzählt ihnen von dieser Tat, die ich einzig zum Wohle der Menschheit durchgeführt habe.
Sicherlich werde ich nur eine Fußnote in der Geschichte bleiben, als der Mann, der das Attentat auf Hitler machte, aber ich selber werde mit einem guten Gewissen sterben.
 
Lebt lang und gedeiht!
Jake Gerschoni“
 
Der Inhalt dieses Briefes sprach sich natürlich wie ein Lauffeuer an Bord herum.
Nur wenige Minuten nach dessen Auffinden, kannte jeder den Inhalt, und natürlich gab es kein anderes Gesprächsthema mehr, als dieses geplante Attentat und die Möglichkeiten es zu verhindern oder gar doch lieber zuzulassen.
Hitzige Debatten entflammten überall auf dem Schiff.
‚Pro‘ und ‚Contra‘ wurden diskutiert, wobei die Meisten versuchten, sich vorzustellen, wie ihre Erde und ihre Heimat wohl aussehen würde, wenn Jake erfolgreich wäre.
Das Ganze betraf natürlich durchaus auch die Crewmitglieder, die nicht von Terra stammten, denn eine grundlegend andere Entwicklung konnte ja auch bewirken, daß es viele Entwicklungen auf ihren Heimatplaneten nicht gegeben hätte, die für den heutigen Stand essentiell waren.
 
Wie bei Zeitreisen immer, und Jake das ja auch schon angesprochen hatte, wäre vielleicht auch ihre eigene Existenz oder die der Picard infrage gestellt.
Zeitreisen beinhalteten immer Paradoxa, über die Laien und Wissenschaftler schon immer diskutiert hatten seit es Science Fiction gab.
War es zum Beispiel möglich, sich selber zu begegnen und mit sich selbst zu interagieren?
Manche behaupteten, das sei nicht möglich, andere aber waren überzeugt davon, daß ein Zeitreisender durchaus sein eigener Urgroßvater oder Vater sein könnte.
Das war in unserem Fall ausgeschlossen, aber es konnten ja auch eigene Verwandte bei dieser Aktion zu Schaden kommen.
Andererseits würden Verwandte noch leben, die in den Kriegen gefallen waren.
Die möglichen Auswirkungen überstiegen die Vorstellungskraft der Meisten.
 
Es hatte ja schon viele Zeitreisen gegeben, nach denen kaum Auswirkungen berichtet wurden, aber das konnte auch nur Zufall sein, weil man eben diese Änderungen gar nicht bemerkt hatte, wenn sie nicht im direkten Umfeld stattgefunden hatten.
 
Es mußte eine Lösung gefunden werden!
Und Howy war sich eigentlich darüber klar, daß man Jake würde stoppen müssen, egal, was einem sein Gewissen sagte.
Aber würde man dann nicht selber zum Mörder von so vielen Menschen werden, wenn man nicht handelte, wenn sich einem eine solche Gelegenheit bot?
[Bild: Howy-neu.jpg]
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