Zwischenlog 14 Anselmus
#1
==========  Irgendwo auf Stratarura  ==========
 
Anselmus fluchte ziemlich gegen alle frommen Regeln, so daß sogar Herodes, der zu seinen Füßen lag, die Ohren spitzte.
Er wußte, daß sein Herr ziemlich schlechter Laune war, aber er wußte ebenso gut, daß dieser das nie an ihm auslassen würde.
Zwischen diesen Beiden herrschte ein absolutes Vertrauensverhältnis, wozu man weder Befehle oder gar Strafen benötigte.
Allerdings hatte er nichts dagegen, ab und zu auch mal gelobt oder intensiv gekrault zu werden.
Er legte die lange Schnauze auf seine Vorderpfoten und schlief, was ihn aber nicht daran hinderte, immer aufmerksam auf Alles zu lauschen, was sich in ihrer Umgebung abspielte, denn auch er wußte, daß man Nichts und Niemandem trauen durfte.
Deshalb fraß er auch nur Dinge, die er sich selber erjagt oder von Anselmus bekommen hatte, egal, wie hungrig er war, und das kam, besonders in den letzten Wochen ziemlich häufig vor.
 
„Wie ist es bloß möglich, daß man, wo immer man anlandet, auf einen noch trostloseren Planeten trifft, als von dem man kam?“ sinnierte unser Mönchlein.
Gab es denn nirgends mehr einen dieser dämlichen Kugeln, auf denen das Wetter gut, die Menschen freundlich und reichlich leckeres Essen vorhanden war? Offensichtlich nicht, denn Stratarura war noch um Einiges grottiger als der Vorgänger, und das durfte schon was heißen.
 
Es regnete hier zwar nicht, dafür war es heiß und derart trocken, daß der Boden irgendwie nur aus Staub bestand, der so fein war, daß er durch alle Poren drang.
Egal, wo man Schutz suchte, er war da und überzog alles mit einer dicken knirschenden Schicht, was besonders unangenehm zwischen den Zähnen war.
 
Direkt nach der Landung des Frachters war er zum ‚Terminal‘ dieses gottverlassenen Fleckens marschiert, um sich nach der ‚Clover 13‘ zu erkundigen, nur um zu erfahren, daß diese zwar kurz gelandet war, um Treibstoff und Proviant zu laden, dann aber weitergeflogen war.
 
„Wohin?“ fragte Anselmus.
 
„Woher soll ich das wissen?“
 
„Die Vorschriften sagen, daß die Schiffe immer ihren neuen Zielort angeben müssen, wenn ich mich nicht irre?“
 
„Und? Wer, bitte, soll das kontrollieren?
Solange die genügend viel Bares rüberwachsen lassen, fragt Niemand nach dem ‚Woher‘ und ‚Wohin‘.“
 
„Woher interessiert mich nicht. Das weiß ich, aber das Wohin möchte ich wissen.“
 
Der Clerk zuckte die Acheln.
 
„Hat denn jemand das Schiff verlassen? Wenn ja, müßte er hier durchgekommen sein? Vielleicht so ein ziemlich großer Kerl mit sehr hellen Haaren?“
 
„Da kann ich dir eine ganz sichere Antwort geben: Nein!“
 
Anselmus wußte, daß er hier nichts Wissenswertes erfahren würde. Der Kerl war viel zu unterbelichtet, um überhaupt Irgendetwas mitzubekommen, aber vielleicht saß er ja gerade deswegen auf diesem Posten?
Er hatte ein echtes Problem, denn er saß hier und hatte keinen Schimmer, wohin Rabenstein auf und davon war.
Aber da er ja ein Gefangener war, hätte man ihn wohl  kaum gefragt, wo er denn hinwollte.
Aber der Mönch konnte nicht ewig hier sitzen bleiben und mußte unbedingt herausbekommen, wohin die Clover 13 unterwegs war.
 
Er verließ das Gebäude und wanderte langsam in Richtung dessen, was sich die Hauptstadt schimpfte und auf den Namen ‚Andalusia‘ hörte.
Irgendwie hatten die früheren Kolonisten auch der letzten Hölle immer paradiesische Namen gegeben.
 
Gleich zu Beginn des Kaffs lag ein Laden, oder besser eine Bude, die kurz vor dem Zusammenbruch stand, aber in der man offenbar was kaufen konnte, das dem Lebenserhalt diente.
Anselmus signalisierte Herodes, draußen vor der Tür zu bleiben, und betrat den Laden, der sich ‚The First Supermarket‘ nannte.
Auch drinnen sah man zunächst nur Staub, unter dem sich ein paar Regale abzeichneten, auf denen Irgendetwas lag.
Was, konnte man erst feststellen, wenn man die Staubschicht entfernt hatte.
 
Unser Mönch räusperte sich: „Haben Sie hier irgendwo etwas Trink- und Eßbares?“
 
Ein dürres Männchen grinste schief: „Bin ich allwissend? Bin ich dein Diener? Such doch selbst!“
 
„Du solltest dich mal einer etwas größeren Höflichkeit einem Gottesmann und Kunden gegenüber befleißigen, sonst landest du in der Hölle.“
 
„Schlimmer als diese hier kann die auch nicht sein. Aber dahinten ist ein Stapel mit Wasserkanistern.“
 
„Hast du auch was Ordentliches zu Trinken?“
 
„Fusel? Klar. Aber wir haben hier nur eine Sorte. Diese.“ Er stellte eine Flasche auf die Theke vor sich.
„Selbst gebrannt.“
 
„Soll mich das beruhigen?“ Anselmus hob die Flasche hoch und pustete das Etikett frei: „Feuer des Elias“ stand da zu lesen.
„Immerhin zeigst du eine gewisse Bibelfestigkeit, mein Sohn. Ich nehme davon zwei Pullen.“
 
„Die Bibel war das einzige Buch, was meine Großmutter besaß. Und sie las mir dauernd daraus vor.“
 
„Eine gottesfürchtige Frau. Gott hab sie selig. Ich hoffe, du hast den Inhalt der Bibel nicht nur für die Benennung deines Schnapses genutzt, sondern auch zu deiner inneren Stärkung.“
 
Er ging in die Ecke, wo das Wasser stand und nahm sich zwei 5-Liter-Kanister. Er überprüfte die Versiegelung und tauschte eine wieder um, denn der Verschluß war gebrochen, und er hatte alles Mögliche vor, nur nicht, sich im besten Fall einen Scheißer einzuhandeln oder gar Schlimmeres.
 
Er fand noch ein Regal, in dem allerlei Konserven lagen, darunter Corned Beef, das wohl auch Herodes schmecken würde.
Davon packte er 10 Konserven zusammen.
Dann noch ein paar Bohnen, die man mit dem Fleisch kochen konnte.
 
„Hast du eine Ahnung, wo man als Mann der Kirche sein müdes Haupt zur Ruhe legen könnte? Vielleicht muß ich ein paar Tage hier bleiben.“
 
„Es gibt draußen vor der Stadt ein Kloster. Das nennt sich „Abtei der Heiligen Jungfrau Maria von Emmandu“.
Da soll mal einem Kind diese Jungfrau erschienen sein und durch ihn den Auftrag zur Gründung des Klosters gegeben haben.“
 
Der Mann ging an die Tür und zeigte in eine Richtung, wo es nur Staub zu sehen gab.
 
„Da. Du mußt etwa eine halbe Stunde laufen.“
 
Anselmus klaubte die nötigen Kredits aus seiner Kutte und verließ den ‚Supermarkt‘.
Herodes erhob sich und blickte neugierig sein Herrchen an.
 
„Ja, ich habe was, keine Sorge. Ich hoffe, daß das Zeug dir und mir schmeckt. Aber wir Beide wissen ja: Der Hunger treibt’s rein. Und wir haben Hunger.“
 
Sie suchten sich ein halbwegs geschütztes Plätzchen und Anselmus holte eine der Konserven aus dem Beutel.
Dann griff er zu einem schweren Messer, das er in seiner Kutte an einem Strick hängen hatte, und rammte die Klinge in das Metall der Dose und öffnete diese.
 
Dann polkte er den Fleischbrocken aus dem Behälter und legte ihn vor Herodes, der heftig mit dem Schwanz wedelte.
 
Er besaß zwar einen Topf, aber mangels Holzes oder anderem Brennmaterial mußte eine warme Mahlzeit ausfallen, was Herodes aber egal war. Der Inhalt einer ganzen Dose verschwand mit dem ersten Biß. Eine zweite und dritte Dose folgte.
Erst dann konnte sich Anselmus selber versorgen.
 
Danach schüttete er Wasser in den Topf, das Herodes gierig trank.
Es war zwar genauso heiß wie die Luft, aber war wenigstens flüssig.
Danach nahm Anselmus noch einen langen Zug aus der Schnapspulle. Er hustete, denn das Zeug war ziemlich heftig, aber auch das war besser als nichts.
 
„Wir müssen los.“
Herodes rieb seinen Schädel gegen Anselmus Beine und trabte los, nachdem sein Herrchen ihm die grobe Richtung gezeigt hatte.
 
Die angebliche halbe Stunde dehnte sich auf immerhin fast zweieinhalb Stunden aus, wobei der Mönch schon glaubte, sie hätten sich im Staub verlaufen, aber die feinen Sinne des Hundes hatten gespürt, daß es da draußen eine Ansiedlung gab und hatte seinen Herrn zielsicher dorthin geführt.
 
 
==========  In der Abtei der Heiligen Jungfrau Maria von Emmandu  ==========
 
Aus dem Staub tauchten die Umrisse eines größeren Gebäudes auf, zu dem auch ein Turm gehörte, den man mit etwas Fantasie einen Glockenturm nennen konnte.
Ein großes Kreuz zierte seine Spitze.
 
„Ein Platz des Glaubens in dieser Einöde. Man soll es kaum glauben.
Gleich werden wir uns in den Schatten setzen und uns ein wenig ausruhen.“
Er tätschelte den riesigen Kopf des Hundes.
 
Das Eingangstor war schnell gefunden.
Es gab ein kleines Fenster und darunter einen schweren Klopfer, der auch einen Höllenlärm verursachte, als Anselmus ihn gegen die Tür fallen ließ.
Er wiederholte das noch ein paarmal.
 
Trotzdem dauerte es mindestens 15 Minuten, bevor sich das Fensterchen öffnete und ein Gesicht mit einer Hakennase herauslugte.
 
„Was willst du?“
 
„Gelobt sei Jesus Christus, Bruder, ich bin ein Diener unseres Herrn Jesus, wie du an meiner Kutte erkennen kannst.
Ich bin hier gestrandet und brauche eine Unterkunft für mich und meinen Hund.“
 
„Das kann jeder behaupten.
Wie heißt unser derzeitiges Kirchenoberhaupt oder Großinquisitor?“
 
„Richard von ….. Äh, soweit ich informiert bin, haben wir derzeit keinen, da unser aller gepriesener Constantinus in die Gefilde der Sterblichen befördert wurde. Vielleicht La Salle?“
 
„Ich sehe, du bist wenigstens ein wenig informiert. Ich werde jetzt dem Abt über dich berichten, der dann deinen Einlaß erlauben wird. Oder auch nicht.
Du mußt verstehen, Bruder, daß man in diesen Zeiten gar nicht vorsichtig genug sein kann.“
 
„Aber beeil dich. Es ist verdammt heiß hier draußen.“
 
Die Klappe schloß sich und wieder mußten die Beiden verdammt lange warten, bis sich ein Schlüssel knarrend im Schloß drehte und das Tor quietschend geöffnet wurde.
 
Die Adlernase war es wieder: „Ich bin Bruder Theodosius. Folge mir!“
 
Im Halbdunkel des Ganges war es wenigstens etwas kühler, als in der prallen Sonne draußen.
Sie betraten den Kreuzgang, oder das, was sein Führer so bezeichnete.
 
„Abt Aloysius ist im Garten. Der Hund darf da nicht mit.“
 
Anselmus signalisierte Herodes, er müsse hier bleiben, was dieser gerne tat, weil es im Gang deutlich kühler als draußen war, und selbst der Staub schien hier weniger zu sein.
Trotzdem beobachtete er seinen Herrn, soweit es ging.
 
Man mochte es kaum glauben, aber der Abt, ein älterer Mann, saß unter einem Rosenbusch, der sogar ein paar spärliche Blüten zeigte, sonst aber mit Staub überzogen war.
 
Anselmus kniete nieder und grüßte den Mann ehrerbietig.
 
„Erhebe dich, mein Sohn. Was führt dich zu uns in die Einsamkeit?“
 
Anselmus erzählte eine kurze aber wohl glaubhafte Geschichte, daß er auf der Suche nach einem Außenposten der Inquisition sei, um zu erfahren, ob das Konklave denn nun schon einen neuen Großinquisitor gewählt habe.
Er wolle sich voll in den Dienst dieses Herren stellen (war ja auch gar nicht mal gelogen, wofür er sich selber lobte) und ihm mit seinem Wissen und seinen Erfahrungen zu Diensten sein.
 
„Ein löbliches Vorhaben, mein Sohn, aber soweit ich weiß, wurde La Salle gewählt.“
 
„Dieses unlautere, betrügerische Arschloch und Gernegroß.“ dachte unser Mönchlein wenig fromm.
„Laut sagte er: „Ja, der große La Salle. Ein starker Mann und Retter der Kirche.
Ich möchte ihm dienen, weshalb ich zu ihm will. Ich weiß nur nicht, wo es hier in der Nähe einen Außenposten der Inquisition gibt?“
 
In diesem Augenblick begann ein dünnes Glöckchen zum Gebet zu rufen.
 
„Darüber sprechen wir später. Gleich haben wir das 3. Brevier, die Terz, und wie du weißt, müssen wir diese Stundengebete einhalten.
Bruder, wie wäre es, wenn du dieses leiten würdest?“
 
Anselmus hätte fast einen Schluckauf bekommen:
„Vater, es ist viele Jahre her, daß ich selber dieses durchgeführt habe. Meist war ich alleine auf Mission in den entfernten Winkeln dieser Galaxis, so daß ich meine Gebete fast immer alleine durchführen mußte.“
 
„Das macht nichts, mein Sohn. Der Herr wird dich leiten und dir die Kraft geben. Und wir haben mal etwas Abwechslung in dieser Einöde, in die uns unsere Heilige Jungfrau Maria hinbeordert hat. Komm!“
 
Langsam trottete Anselmus hinter dem Abt her, krampfhaft darüber nachdenkend, wie er das machen sollte. Er erinnerte sich nur sehr dunkel an den Ablauf der Texte der Stundengebete, denn er hatte kaum oder gar nicht an einem tatsächlichen klösterlichen Leben teilgenommen.
Aber er war gut im improvisieren, und konnte ja immer, falls was nicht korrekt sein sollte, es darauf schieben, daß das bei seinem Kloster irgendwo im Gamma-Quadranten eben so gehandhabt wurde.
Außerdem wurden die Texte ja eigentlich abgelesen.
 
Insgesamt waren es 18 Mönche, die sich dem Abt und ihm anschlossen. Und dieser Truppe folgte Herodes, der sich durch die Kirchentür drückte und sich dort niederließ, weil es hier noch deutlich kühler als draußen im Kreuzgang war.
Außerdem hatte er es sehr ungern, wenn er seinen Herrn nicht im Blickwinkel hatte.
 
Der Abt stellte Anselmus kurz vor und überließ es dann ihm, das Brevier durchzuführen.
Gott sei Dank war es nur ein Kurzbrevier, welches unser Mönchlein recht gut hinter sich brachte.
 
Schon vor dem Gebet signalisierte ihm sein Magen, daß es Zeit wurde, etwas einzuwerfen, aber nach dem Gebet war es dann auch soweit, sich im Refektorium zu versammeln.
Allerdings war der Fraß, den man ihm in einer Holzschale mit einem Holzlöffel vorsetzte, keineswegs Appetit anregend. Irgendeine indefinierbare Pampe, bei der er besser nicht nachfragte, was da so die Ingredientien seien. Aber der Hunger treibt’s rein.
 
Nach dem Mal forderte der Abt ihn wieder auf, mit ihm in das zu kommen, was die den ‚Garten‘ nannten.
„Du möchtest also dem großen La Salle dienen?“
 
„Ja, Hochwürden. Aber ich weiß nicht, wo es hier in der Nähe Niederlassungen der Inquisition gibt?“
Insgeheim hoffte er, daß Rabenstein, wie auch immer er das anstellen könnte, zu so einer Institution gehen würde, um von dort aus seine Fäden zu spinnen.
Er schätzte ihn durchaus so ein, daß er zunächst den Speichellecker spielen oder wenigsten nach außen hin zugeben würde, daß der Bessere gesiegt habe.
Danach würde er dann weiter sehen.
Sollte er noch ein Gefangener sein, würden die ziemlich sicher versuchen, ihn gegen Lösegeld an die Inquisition zu verscherbeln, denn La Salle hatte ein größeres Kopfgeld auf ihn ausgesetzt.
 
„Nun, die nächste Niederlassung der Inquisition ist auf Epsilon Eridani 4.
Das ist etwa 2 Flugwochen von hier. Das ist nicht gerade die schönste Niederlassung, aber es gibt dort ein großes Inquisitionsarchiv. Und wie es gerade der Zufall will, werde ich übermorgen dort hinfliegen, weil ich einige Dokumente suchen muß, die unser Kloster hier betreffen, weil es Streitigkeiten über die Gründung und den Besitz gibt.
Leider sind uns die entsprechenden Urkunden bei einem Brand vor fünf Jahren verlorengegangen, aber ich weiß, daß es dort Duplikate gibt, die ich dringend benötige.
Wenn du möchtest, kannst du mich begleiten, mein Sohn. Du könntest die Zeit gut zu contemplativen Übungen nutzen.“
 
Anselmus wußte sich vor lauter Glück kaum zu fassen, behielt aber seine äußere Fassung: „Das wäre zu schön um wahr zu sein.“
Insgeheim versprach er, dem Herrn Jesus ein Opfer darzubringen, dafür, daß er ihm immer in letzter Sekunde hilfreich in die Seite trat.
 
[Bild: anselmus2.jpg]
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