ISDA Log 1 Richard von Rabenstein
#1
*** Terra / Rom ***

In einem eleganten Bogen senkte sich der Gleiter und setzte auf dem Parkperimeter um die geschützte Altstadt auf. Der sommerheiße Boden Roms entließ eine kleine Staubwolke, die sich um die Landekufen kräuselte und sich auf dem schwarzen Lack des Fluggeräts ablagerte. Geräuschlos klappte die Tür aus getöntem Kunststoff nach oben aus und ein schlanker, hoch gewachsener junger Mann entstieg dem klimatisierten Halbdunkel. Richard von Rabenstein. Seine feingliedrige Hand klopfte Staubpartikel von seinem schwarzen Anzug, auf dessen linker Brustseite das Symbol der terranischen Inquisition prangte: ein Kreuz, dessen unterer Balken in einem Schwert endete, das sich durch das stilisierte Erdenrund bohrte. Das Insignum schien in der gleißenden Mittagssonne von derselben Farbe wie Richards platinblonde Haare, von deren korrekten Sitz er sich mit einer raschen Handbewegung überzeugte.

"Ich bin in fünfundvierzig Minuten zurück, warten Sie hier," befahl eine Stimme, der man anmerkte, dass ihr Träger gewohnt war, absoluten Gehorsam vorzufinden. Der im Cockpit verborgene Pilot bestätigte mit einem knappen: "Sehr wohl, Hochwürden."
Der junge Inquisitor wandte sich ohne ein weiteres Wort auf die statuengesäumte Allee und wirkte dabei, als habe ein geheimnisvoller Zauber eine der hier aufragenden Standbilder antiker Schönheit mit Leben beseelt und in eine schwarze Hülle gekleidet - und dies sowohl faktisch als auch metaphorisch.

Während er die Allee voranschritt, vorbei an den antiken Zeugnissen des alten Rom, erfasste Richard erneut jener Schauer der Erhabenheit, den er immer an diesem Ort empfand. Hier schlug das
wahre Herz des Terranischen Imperiums, hier lag seine wahre Stärke, hier hatten sich seine Wurzeln tief in die heilige Erde gegraben, um reiche Frucht über Jahrtausende zu spenden. All die armseligen Technokraten und Söldner der Flotte zehrten davon. Sie mochten es nicht wissen, sie mochten es nicht anerkennen wollen, und doch hingen sie an dieser Lebensader. Roma Eterna! Welche Größe ging nur von diesen beiden Worten aus! Aus dem mittaglichen Dunst schälte sich die alte Petersbasilika, erbaut von Kaiser Konstantin (Anm.: also nicht die jetzige, sondern der Vorgänger!) Längst schützten neben geschickt verborgenen Metallstreben spezielle Kraftfelder die 2000jährigen Mauern des imposanten Gebäudes. Aber das tat seiner beinahe magischen Strahlkraft keinen Abbruch.

Richard war ein gläubiger Mann. Natürlich war sein Glaube nicht mehr der jener Baumeister, die die Basilika errichtet und mit ihren atemberaubenden Fresken und Mosaiken verziert hatten, auf denen eine bärtige, in antike Gewänder gehüllte Gottesgestalt die Welt mit ihren Händen aus Erde knetete! Gott war für die moderne Kirche die Ur-Essenz des Universums, die hinter dem Multiversum stehende Energie, der Heilige Geist war die Kraft, die dieses gewaltige Schöpfungsgebilde in Gang hielt und Gottes Sohn war derjenige, der all die Zusammenhänge seinem auserwählten Volk offenbart hatte, um es zu Vollstreckern seines Willens zu machen. Die militärischen Erfolge des Imperiums waren für Richard ein Zeichen für die Existenz Gottes und die Korrektheit des Glaubens.

"Heee, ne Krähe, guck mal!" Von der gegenüberliegenden Straßenseite röhrte ein junger Militär, den muskelbepackten Oberkörper in einem eng anliegenden Trainingstop zur Schau stellend. Er grinste den Inquisitor mit alkoholbedingter Frechheit an, und seine beiden Kameraden grölten im Chor einen obszönen Spruch.

Richard ging weiter, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Abschaum dachte er. Minderbemittelter Abschaum aus der Gorillazucht. Anstatt auf körperlicher Kräfte sollte das genetische Programm vielleicht ETWAS mehr auf geistige Fähigkeiten achten... Der junge Inquisitor lächelte kaum merklich, als er hörte, wie hinter ihm drei Männer von plötzlicher Übelkeit gepackt wurden. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken -- aber nein, er wollte sich jetzt nicht damit belästigen. Er musste sich konzentrieren auf die wirklich wichtigen Aufgaben!

Er lenkte seine Schritte diesmal nicht zur Petersbasilika, sondern zu dem Gebäude an deren südöstlicher Flanke. Auch dessen Grundmauern reichten in eine ehrwürdige Vergangenheit von fast 1500 Jahren zurück, waren aber in den folgenden Jahrhunderten mehrfach überbaut worden. Im Moment zierte eine neoklassizistische Fassade aus Stahlbeton und Glas die Zentrale der Inquisition. Auf dem Portikus, den Richard jetzt durchschritt, leuchtete eine goldene Inschrift " Inquisitionis sine gladio imperium percussus esset" - Ohne das Schwert der Inquisition wäre das Imperium mit dem Schwert zerschlagen worden.
Das Motto deckte sich mit Richards Überzeugung. Seine Organisation war das Werkzeug, dass den Glauben rein und das Imperium gesund und mächtig erhielt, in dem es alles schmutzige, marode, korrupte und zerstörerische Wirken an der Wurzel ausmerzte. Das Imperium war ein Nichts ohne die Inquisition. Und die Inquisition ... würde einst ein Nichts sein ohne ihn...

Richard von Rabenstein passierte die Biofilter und die Perimetersicherung und betrat das Foyer. Hier hielt er kurz an dem Reliquiar des Gründers seiner Organisation inne, der im Jahre 823 von Kaiser Gratianus III. den Auftrag zur Schaffung der Glaubenspolizei bekommen hatte. Dann begab er sich in den Audienzraum, wo ihn der derzeitige Großinquisitor empfing.

"Bruder Ricardus! Herzlich willkommen!" Der hagere alte Mann mit der Adlernase hob den jungen Kollegen auf, der zum traditionellen Handkuss niedergekniet war. Dann wies er in Richtung der funktionalen Sitzgruppe aus weißem Leder und ging mit federnden Schritten voran. Seine Eminenz Valentinian Constantius mochte alt und gebrechlich WIRKEN, aber Richard zweifelte keinen Moment daran, dass er ihn eigenhändig in die Gefilde der Hölle expedieren konnte, wenn es sein musste. Nun, im Augenblick bestand kein Bedarf daran.
"Ich habe einen Auftrag für dich."

"Ich bin geehrt, dass Ihr Auge auf mich, Ihren demütigsten Diener, gefallen ist."

"Lüge mich nicht an, Bruder Ricardus. Ich kenne dich, seit du ein kleines Kind warst."

Bedauerlicherweise. "Um was für einen Auftrag handelt es sich?"

"Der Großkanzler und der neue romulanische Prätor haben verkündet, im Gamiria-Expanse ein großangelegtes Manöver der Allianztruppen abzuhalten. Finde heraus, warum dort und warum jetzt. Desweiteren: Ich bin überzeugt, dass die Romulaner einen Verrat planen. Das liegt in der Natur dieser Kreaturen."

Natürlich liegt es das, sie sind eine niedere Spezies, die sich nur durch Hinterhalt in der Evolution nach vorn gebracht hat. Sie sind eine Beleidigung in der Schönheit der Schöpfung. "Ich werde ihr perfides Treiben offenlegen, Eminenz."

"Und dann sind mir noch diverse Bestrebungen in der terranischen Flotte zu Ohren gekommen. Es heißt, gewisse Kreise würden auf ein Verbot der Inquisition hinarbeiten...." Der Großinquisitor überreichte Richard eine Datenfolie. Ein rascher Blick ließ ihm einen Namen ins Auge fallen, dem er früher bereits begegnet war: Robert Vandenberg.
[Bild: Signatur-Rabenstein-neu.jpg]
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